Streuobstwiesen – Diversität auf vielen Ebenen

Stellen Sie sich vor, Sie würden den nächsten Jackpot knacken: was würden Sie mit diesem Geldsegen anfangen? Natürlich hat jeder von uns einen gewissen „Wünschestau“, wie ein tolles (hoffentlich E-) Auto, eine schöne Villa hier an einem unserer Seen oder eine Weltreise. 

Aber haben Sie schon mal daran gedacht, in Biodiversität zu investieren? 

Das wäre doch eine nachhaltige Investition, die Ihnen, Ihren Zeitgenossen und sogar noch nachfolgenden Generationen große Freude bereiten könnte. Vor allem wäre das auch eine wichtige Maßnahme gegen das fortschreitende Artensterben. Einen ersten Schritt dazu hat Erich Klas mit seinem „Summenden Acker“ bereits gemacht. Jetzt ist der zweite Schritt in Planung: auf der Vielfalts-Wiese sollen alte Obstsorten angepflanzt werden, um damit eine Streuobstwiese zu schaffen.

 

Streuobstwiesen – Biodiversität auf mehreren Ebenen

In Streuobstwiesen kommen deshalb so viele Tiere und Pflanzen vor, weil ein Verbund aus zwei Lebensräumen vorliegt: oben ein lichter Baumbestand und darunter Wiesen oder Weiden. Dadurch bildet sich ein kleinflächiges Mosaik aus Lebensräumen. Die freistehenden Bäume werfen ein unregelmäßiges Muster aus Licht und Schatten auf die Wiese. Dadurch wachsen in der Wiese unterschiedliche Gras- und Blumenarten, welche wiederum die Bodenverhältnisse beeinflussen. 

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Foto: UNSER LAND GmbH

In diesem Lebensraum-Komplex fühlen sich sowohl Baumbewohner als auch Arten des Grünlandes wohl. Für die Biodiversität förderlich ist auch, wenn möglichst vielfältige Obstsorten angepflanzt werden, die nacheinander und nicht gleichzeitig blühen. Damit finden Bestäuber, wie z.B. die Wildbienen, die zu unterschiedlichen Zeiten im Frühjahr ausfliegen, ein lange ausreichendes Pollenangebot vor.

Wenn unter den Bäumen auch noch eine artenreiche Blühwiese ausgesät wurde, dann gibt es auch nach der Obstbaumblüte noch viel Pollen und Nektar für die unterschiedlichsten Insekten. Zu den typischen Insekten der Streuobstwiesen zählen die Wildbienen (mehr als 100 Arten), Heuschrecken, Tag- und Nachtfalter, Spinnen sowie holzbewohnende Käfer, wie der Bockkäfer. 

Auf den Bäumen leben Säugetiere, Vögel, Moose, Algen, Flechten, Pilze und andere Pflanzenspezialisten, wie beispielsweise Misteln. Der Höhlenreichtum und die Spalten in den Rinden der Stämme und Ästen der älteren Obstbäume ist für viele Arten ein wichtiger Faktor. Insgesamt können in einer Streuobstwiese mehr als 5000 Arten ihren Lebensraum finden. Ein wichtiger Aspekt ist, dass es sich bei diesen Lebewesen nicht nur um „Allerweltsarten“ handelt, sondern auch um viele Spezialisten, die nur noch selten in anderen Landschaftsteilen anzutreffen sind. Langhornbienen und Sandbienen suchen nach Pollen für ihren Nachwuchs auf Schmetterlingsblütlern. 

Die bei anderen Wildbienen parasitierenden Wespenbienen saugen Nektar von Korbblütlern. Holzbienen und Holzwespen nagen ihre Brutröhren in morsche Stämme. Im Herbst findet man größere Gruppen von Admiral und C-Falter, zwei Schmetterlingsarten, die den vergärenden Saft heruntergefallener Früchte aufsaugen, um sich wie im Fall des Admirals für die lange Reise nach Südeuropa zu stärken oder wie beim C-Falter, um die Winterpause zu überleben. Ebenso kann man die relativ seltenen Schmetterlingsarten Aurorafalter, Schwalbenschwanz und den gefährdeten Brombeer-Zipfelfalter hier antreffen. Pflaume und Zwetschge werden vom Nierenfleck-Falter sowie von zahlreichen Nachtschmetterlingen als Nahrungsquelle für die Raupen genutzt.  

Große Konkurrenz gibt es um die Baumhöhlen in alten und abgestorbenen Bäumen. Neben den höhlenbrütenden Vögeln wie Steinkauz, Wendehals, Grünspecht und dem bei uns sehr seltenen Wiedehopf finden dort auch zahlreiche Säugetiere Unterschlupf, wie z.B. Siebenschläfer, Gartenschläfer, Haselmaus und Fledermäuse.  

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Der Wiedehopf (Foto: Thomas Hinsche)


Der Lebensraum Streuobstwiese hat in Mitteleuropa eine wichtige Rolle als Ersatzlebensraum und Rückzugsort von früher weit verbreiteten Arten der offenen Kulturlandschaft und trägt damit entscheidend zum Erhalt der Biodiversität bei. Umso unverständlicher ist es, dass dieser Lebensraumkomplex keinen europarechtlichen Schutz als eigenes Habitat über die Flora-Fauna-Habitat (FFH) Richtlinie genießt. Für mich ist das ein klarer Konstruktionsfehler dieser Richtlinie. Denn für den langfristigen Erhalt dieser Lebensräume muss jemand dafür sorgen, dass sie traditionell bewirtschaftet und gepflegt werden. Und das geschieht erfahrungsgemäß leider nur dann, wenn entsprechende Richtlinien existieren.

 

Agrobiodiversität für vielfältigen Genuss

Die Sortenvielfalt spielt heute im Erwerbsobstbau nur eine geringe Rolle. Viele der über die Jahrhunderte gezüchteten Obstsorten sind deshalb vom Aussterben bedroht. In einem Projekt der Landesanstalt für Landwirtschaft hat ein Pomologe über 5000 Sorten und Sortennamen aus der Literatur zusammengetragen. 

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Foto: UNSER LAND GmbH

Alleine in Bayern haben Sortenkenner über 1000 Sorten gemeldet. Diese große Sortenvielfalt ist eine wichtige genetische Ressource für die Züchtung resistenter und weniger anfälliger Sorten. Zudem ist sie die Grundlage für eine gesunde Ernährung und bietet Chancen für neue Vermarktungsmöglichkeiten. Die verschiedenen Geschmacksrichtungen, das Zucker-Säureverhältnis, die Saftausbeute oder die Saftqualität entscheiden, ob die Sorte als Tafelobst, Mostobst oder zum Brennen geeignet ist. Heute werden nicht nur einfache Obstsäfte gepresst, sondern das Spektrum der Streuobstverwertung reicht von alkoholfreien, fruchtigen Obst-“Sekten“ und -Cocktails über alkoholhaltige Frucht-Schaumweine bis hin zu den traditionellen Obst-Bränden. Diese neuen Vermarktungsmöglichkeiten bieten eine Chance, dass der Streuobstanbau als extensive Mischkultur auch in der Zukunft Bestand hat.

 

Noch ein emotionaler Aspekt

Ich habe nun viel über die Bedeutung von Streuobstwiesen für den Erhalt der Biodiversität erzählt. Es gibt da aber auch noch einen emotionalen Aspekt. Für mich ist der Anblick einer blühenden Obstanlage mit einem Blütenmeer im Unterwuchs schlechthin das Bild für eine intakte und lebenswerte Umwelt, wie ich es von meiner Kindheit her kenne. 

Wenn im Herbst beim benachbarten Bauernhof die Äpfel und Birnen in den Bäumen hingen, konnten wir Kinder das Fallobst aufsammeln und nach Hause bringen. Meine Mutter kochte dann daraus ihr berühmtes Obstkompott mit vielen Gewürznelken darin. Mit Erichs Streuobstwiese kommt für mich somit auch ein Stück Heimat zurück. Deshalb unterstütze ich dieses Projekt aus voller Überzeugung. Dass sich etwas ändern muss, wenn wir die Vielfalt des Lebens erhalten wollen, das ist vielen bewusst. Aber nur wenige setzen Bewusstsein in Handeln um.  



Geschrieben von Dr. Josef Endl

Als Biologe im Ruhestand gilt meine Leidenschaft der Erhaltung der Biodiversität in Natur- und Agrarräumen. Ich möchte dazu beitragen, dass Naturschutz und Landwirtschaft sich wieder aufeinander zubewegen und wir im Erfolgsfall gesunde Nahrungsmittel unter Erhaltung der natürlichen Ressourcen produzieren können. Die Eigeninitiative von Erich Klas, einen Biogas-Maisacker in eine artenreiche Wiese bzw. in eine Streuobstwiese umzuwandeln und dabei auch noch finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen, hat mich sehr beeindruckt. Das hat mich motiviert, sein Projekt als Pate zu unterstützen und auch aktive Beiträge für das Gelingen zu leisten.  

Titelfoto: Steinkauz (Thomas Hinsche)