Streuobstwiesen - eine traditionelle Kulturlandschaft droht zu verschwinden

Streuobstwiesen gelten als die Regenwälder Europas“ – so lautete ein Beitrag von Bio Landwirt Erich Klas bei einem unserer letzten online-Summender-Acker-Team-Treffen. Ich vermute mal, dass sich Erich Klas dabei auf die Artenvielfalt der beiden Lebensräume bezogen hat. Falls ja, war das für mich als Biologen eine überraschende Behauptung. Sollte tatsächlich die Biodiversität der Streuobstwiesen mit der Artenvielfalt der Regenwälder vergleichbar sein? Jedenfalls fühlte ich mich dadurch herausgefordert, mich etwas näher mit dem Thema Streuobstwiesen zu befassen.

 

Was sind Streuobstwiesen?

Landwirtschaftlich gesehen sind sie eine extensive Form des Obstanbaus. Auf einem Wiesengrund sind verstreut hochstämmige Obstbäume gepflanzt, oft ganz verschiedenen Alters und von unterschiedlichen Arten und Sorten.

Streuobstwiese 2jpg. Im Unterschied dazu ist der moderne intensive Obstbau von niederstämmigen Obstsorten in Monokultur mit hoher Pflanzdichte geprägt. In Deutschland sind auf Streuobstwiesen über 3000 verschiedene und oft sehr alte Obstsorten angepflanzt. Zwischen den Obstbäumen wächst im Idealfall eine artenreiche Wildblumen-Flora. Beide Komponenten, die Hochstamm-Obstbäume und die Wiese ergänzen sich zu einem sogenannten Komplementär-Biotop, das Lebensraum für mehr als 5000 Tier- und Pflanzenarten bietet.

 

Wie sind Streuobstwiesen historisch entstanden?

Die Anfänge des Streuobstanbaus reichen bis in die Römerzeit zurück. Wie viele andere genussvolle und angenehme Dinge (man denke nur an den Weinbau) hatten die Römer vor ca. 2000 Jahren den Obstanbau nach Mitteleuropa gebracht. Sie führten die nicht heimischen Apfelbäume, die Birnbäume, Zwetschgen und Süßkirschen, aber auch Walnuss und Edelkastanie in Mitteleuropa ein. Damals entstanden erste Obstgärten am Rande der römischen Villen, wahrscheinlich nach dem Vorbild der luxuriösen Stadtvillen-Gärten von Pompeji, wie sie auf zahlreichen Fresken dieser Stadt dargestellt wurden.

Frescopng Bereits im zweiten nachchristlichen Jahrhundert sind größere Obstanbau-Anlagen in wärmeren Lagen, z.B. an der Mosel nachgewiesen. Zu dieser Zeit fanden auch bereits erste Zuchtversuche statt, um die Obstbäume auch in raueren Gebirgslagen anbauen zu können. Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches im fünften Jahrhundert gab es erst unter Karl dem Großen wieder einen Aufschwung beim Obstanbau in Mitteleuropa. In den folgenden Jahren waren es vor allem die Klöster und Mönche, welche das Wissen um die Sortenvielfalt, Veredelung und Pflege der Obstanlagen weiterentwickelten.

Die eigentlichen Streuobstwiesen entstanden in Deutschland jedoch erst ab dem 16. Jahrhundert. Dies waren meist gärtnerische Anlagen rund um die Städte und Dörfer. Welche wichtige Rolle diese Obstanlagen für die Grundversorgung der Bevölkerung in dieser Periode hatten, belegen Berichte, wonach während des 30-jährigen Krieges die Obstbäume durch feindliche Armeen niedergebrannt oder gefällt wurden, um der lokalen Bevölkerung eine wichtige Nahrungsgrundlage zu entziehen. Im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert erfolgte eine starke Ausbreitung des Streuobst-Ausbaues in klimatisch günstigen Gebieten – häufig herrschaftlich erzwungen. Es war vor allem Herzog Carl Eugen von Baden-Württemberg (1728-1793), der sich im Alter in seinen Baumschulen der Bratbirne und anderer Landwirtschaft widmete, um eine Grundsicherung der Bevölkerung zu gewährleisten. Diese Epoche kann als die eigentliche Entstehungszeit des Streuobstanbaues betrachtet werden. Extensive Obstbaumpflanzungen wurden entlang von Wegen, Äckern und den Weinbergen vorgenommen. Zunächst gab es eine Mischform mit zusätzlichem Anbau von Getreide und Hackfrüchten unter den Obstbäumen („Baumäcker“). Später wurde unter den Bäumen nur noch eine einfache Grünlandnutzung vorgenommen, woraus sich die Streuobstwiese im heutigen Sinne entwickelten. Das Wort „Streuobstwiese“ stammt allerdings erst aus dem Jahr 1975. Geprägt hat diesen Begriff der Ornithologe Ullrich, der in einer Publikation auf die besondere Bedeutung der Streuobstwiesen für den Vogelschutz hinwies.

Die weiteste Verbreitung die Streuobstanbaues in Deutschland gab es zwischen 1930 und 1955. Damals waren die blühenden „Obstbaumwälder“ landschaftsprägend wie wenige Kulturlandschaften. Allerdings fand auch allmählich ein Übergang von extensiver zu extrem intensiver Bewirtschaftung der Streuobstbestände statt, verbunden mit einem hohen Einsatz an Pestiziden, vor allem gegen Insekten und Pilze. Zusätzlich wurde im Erwerbsanbau das sehr vielfältige Sortiment an Kernobst zunehmend auf wenige Sorten beschränkt. So sind gegenwärtig in Deutschland nur etwa 20 Apfelsorten im Handel erhältlich, obwohl es weltweit über 20 000 verschieden Apfelsorten gibt. Alte Streuobstanlagen sind eine wesentlicher Garant für die Erhaltung einer großen Biodiversität von Kernobst.

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Einen extremen Rückgang der Streuobstwiesen im gesamten europäischen Raum bewirkten die Rodungsprämien für die Hochstamm-Obstbäume durch die EU in den 1970er Jahren. Während es im Jahr 1965 noch 20 Millionen Obstbäume in Deutschland gab, wurden bei der letzten Bestandserhebung im Jahr 2017 nur noch 5,8 Millionen gezählt, ein Verlust von mehr als 70%. Zugleich setzte ein starker Trend zur Obst-Plantagen-Wirtschaft ein, der eine drastische Reduktion der Streuobstfläche und damit einhergehend einen starken Biodiversitätsverlust zur Folge hatte. Nach Schätzung des Naturschutzbundes (NABU) gingen die deutschen Streuobstbestände von ca. 1,5 Mio. ha um 1950 auf rund 300 000 – 400 000 ha im Jahr 2008 zurück. Die Gründe hierfür sind neben den Rodungsprämien für Hochstamm-Obstbäume der wesentlich geringere Arbeitseinsatz bei der Ernte der Niederstamm-Anlagen. Außerdem kommen die Hochstämme in der Regel erst nach 10 Jahren in den Vollertrag, die Niederstämme bereits im dritten oder fünften Jahr nach ihrer Pflanzung.

 

Streuobstanbau heute

Eine gewisse Aufregung unter den Obstbauern gab es in jüngster Zeit im Zusammenhang mit dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“. Die Obstbauern hatten befürchtet, dass Streuobstwiesen mit einer Größe von mehr als 2500 m2 in gesetzlich geschützte Biotope umgewandelt werden, die dann nicht mehr herkömmlich bewirtschaftet werden könnten. Deshalb hatten einige Streuobst-Bauern vor allem in der Fränkischen Schweiz im Vorgriff einige Tausend Bäume gefällt, um unter die 2500 m2 Grenze zu kommen. Die Aufregung hat sich mittlerweile gelegt. Im neuen Bayerischen Artenschutz-Gesetz wurde festgelegt, dass die normale Bewirtschaftung der Streuobstwiesen weiterhin möglich ist, beispielsweise die Mahd der Flächen, der Ersatz einzelner Bäume und sogar die Bekämpfung der Kirschfruchtfliege mit Pestiziden. In den letzten Jahren hat auch ein Umdenken in der Förderpolitik der Agrarministerien eingesetzt. Die Neuanlage, Pflege und Erhaltung der Streuobstbestände werden seit einigen Jahren über verschiedene Landschaftspflege- und Naturschutzprogramme gefördert.  

 

Neue Wege für die Erhaltung und Nutzung der Streuobstparadiese gesucht

Doch für Erhaltung und Nutzung der Streuobstparadiese müssen auch neue Wege gefunden werden. Häufig werden aufgrund der zu geringen Rentabilität landschaftlich und ökologisch besonders wertvolle alte Bestände aufgegeben. Dabei spielt auch die mangelnde Bereitschaft der Verbraucher, einen Aufpreis für das Streuobst zu bezahlen, eine entscheidende Rolle. Einen Weg zur Renaissance dieser Kulturform haben die Niederösterreicher gefunden. Dort werden das Streuobst und vor allem der Most direkt vermarktet und professionell mit dem Touristenmarketing verknüpft, denn großflächig angelegte Streuobstwiesen stellen zur Blütezeit eine hohe touristische Attraktion dar. Auch in der Schwäbischen Alb sind die Produzenten von Obstspezialitäten erfinderisch geworden. Rund 400 Bauern haben sich dort zusammengeschlossen und liefern ihr Obst an eine kleine Brennerei, die sich auf alkoholfreie Getränke spezialisiert hat. Neben alkoholhaltigen Frucht-Schaumweinen, werden vor allem alkoholfreie, fruchtige Obst-“Sekte“ und -Cocktails hergestellt, die sich zu echten Rennern in angesagten Restaurants entwickelt haben.  

 

Und jetzt kommt der summende Acker ins Spiel

Das bringt mich zurück zu Erich Klas und seiner Leidenschaft für die Streuobstwiesen. Vielleicht lassen sich ja er und die Paten der Streuobstbäume etwas besonders Phantasievolles einfallen, um das Streuobst des summenden Ackers zu verarbeiten und zu vermarkten. Vielleicht können wir uns ja mal einen Obstsaft oder gar einen Most genüsslich über die Zunge gehen lassen. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Gewinnbringend wird es allemal – besonders für die Erhaltung alter Obstsorten und für die Biodiversität. Auch wenn man das mit dem Biodiversitätsvergleich mit dem Regenwald nicht ganz so streng nehmen sollte – die Streuobstwiesen sind aus vegetationsökologischer Perspektive eher Savannen: einzeln stehende Bäume eingebettet in Grasland. Aber zu den ökologischen Aspekten der Streuobstwiesen mehr in meinem nächsten Blog.


Geschrieben von Dr. Josef Endl

Als Biologe im Ruhestand gilt meine Leidenschaft der Erhaltung der Biodiversität in Natur- und Agrarräumen. Ich möchte dazu beitragen, dass Naturschutz und Landwirtschaft sich wieder aufeinander zubewegen und wir im Erfolgsfall gesunde Nahrungsmittel unter Erhaltung der natürlichen Ressourcen produzieren können. Die Eigeninitiative von Erich Klas, einen Biogas-Maisacker in eine artenreiche Wiese bzw. in eine Streuobstwiese umzuwandeln und dabei auch noch finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen, hat mich sehr beeindruckt. Das hat mich motiviert, sein Projekt als Pate zu unterstützen und auch aktive Beiträge für das Gelingen zu leisten.


Bildnachweise
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Bild 1: Blühende Obstbäume im Lallinger Winkel in Niederbayern (Foto: Nina Wenig)Großflächige Bild 2: Streuobstwiesen am Schönbuchhang, Lkr. Böblingen (Foto: NABU/Hannes Huber)
Bild 3: Gartenfresco aus der Villa Livia in Pompeji                                                                                                   (Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4660882)
Bild 4: Vielfältige Apfelernte aus einer Streuobstanlage im Münsterland (Foto: NABU/Bernd Schaller)